zwischen Alltagsroutine(n), Anpassungsleistung und Fremde

Über 4 Wochen bin ich nun – Ende Januar 2016 – in dieser anderen, der südindischen (KiTa)Welt unterwegs.

Ist die Zeit wie im Flug vergangen? Nein – dieser für mich oft auch aus Urlaubserfahrungen in anderen Kulturen geäußerte Eindruck, der stellt sich so gar nicht ein. Im Gegenteil, ich vermag es gar nicht so recht zu beschreiben, welche verschiedenen Erfahrungs- und Gefühlsstadien ich in den vergangenen Wochen er- und durchlebt habe. Sicher nicht nur, weil ich für den Einstieg hier mir die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel gewählt habe, ja nicht unbedingt ganz unbelastete Zeiten, was die Emotionen anbelangt. In jedem Fall andere Erfahrungs- und Gefühlsstadien, als auch in für mich ambitionierten Urlauben wie mal ein kleines Stückchen durch die tunesische Wüste laufen, mit dem Rad an der kroatischen Küste oder in der Türkei unterwegs sein oder sich ein paar Kilometer auf dem Jakobsweg zu versuchen.

Von Skriptentwicklungen spricht Dorothee Gutknecht in ihrem Buch „Bildung in der Kinderkrippe“ (2. Auflage 2015, Kohlhammer) – ob Skript oder Choreographie (E.Pikler) – es gilt wiederkehrende Alltagshandlungen so zu organisieren, dass dem jungen Kind die Orientierung ermöglicht wird und seine aktive Teilhabe, sein Mitwirken und „Selbermachen“ zunehemnd ermöglicht wird. Selber machen können – ein großer Wert in unserer Kultur.

Und was hat das mit der Alltags- und Arbeitsorganisation eines Erwachsenen in einer fremden Kultur zu tun? Ziemlich viel, würde ich sagen. Die Anpassungsleistung beginnt mit dem Versuch den zu erahnenden Alltag und Ablauf in der Hausmütterschule mit mir wichtigen und mir selbst haltgebenden (Regenerations)Routinen in den Abgleich zu bringen. Es gilt gleichermaßen im neuen und auch Fremden mitzumachen (das war ja die Intention nicht frei herum zu reisen, sondern sich in einer anderen Kultur und Gemeinschaft arbeitend einzubringen) dort Wirksamkeit und Teilhabe positiv zu erfahren und auf dem Weg dorthin Anker zu setzen.

Konkret?

Während mich die jungen Frauen gegen 5.30 mit dem ersten Halleluja wecken, kocht dann doch lieber mein wichtiger Wegbegleiter, der Wasserkocher den ersten Kaffee und die Turnschuhe stehen parat, um in der Dämmerung die ersten Runden durch den kleinen Park rund ums Haus zu drehen. Eine Alltagsroutine, die mich fast überall begleitet…das mit dem Duschen geht dann dank dem mitgebrachten Wassersack und dem Mix aus Wasser aus dem Wasserkocher und Kaltwasser hervorragend – wenn ich gut darauf geachtet habe, dass alles vorbereitet ist, denn gleichermaßen mal das Wasser oder Strom können sich für eine ungeplante Zeit verabschieden. Mal schnell…geht nur mit einer Mischung aus Geduld und Vorbereitung.

Und zum Frühstück – das ist jeden Morgen, bis auf den Tee, eine Überraschung – die auch so aussehen kann:

 

 

verschiedenes Getreide mit frischem Kokos, mal neutral oder scharf mit Chillies, erwartet mich in den verschiedensten varianten zum Frühstück
verschiedenes Getreide mit frischem Kokos, mal neutral oder scharf mit Chillies, erwartet mich in den verschiedensten Varianten zum Frühstück

 

Inzwischen ergänzt sich meine deutsche Routine mit etwas Obst, oder seit 3 Tagen mit Joghurt! Zufällig entdeckt, dann beim Einkaufen auch gefunden, stolz wie ein kleines Kind: geschafft!

Und dann – die Tage sind höchst unterschiedlich und in jedem Fall von einer Zeitplanung und einer Flexibilität bestimmt, die mich zwischenzeitlich nur noch wenig irritiert und seltener aufregt. Dann werde ich eben wie heute um 5 Uhr morgens angerufen, dass das Meeting, zu dem man 2 Stunden mit dem Bus fährt und das mit zweimal umsteigen, statt um 10 Uhr nun um 8 Uhr beginnt und es gut wäre, wenn ich um 6 Uhr an der Bushaltestelle bzw dem als solchen gekennzeichneten Straßenrand stehe.

Innerlich mutig, begleitet durch den Vollmond gehe ich zwischenzeitlich unbegleitet den mir bekannten Weg 15 Minuten zum Treffpunkt. In den Bus einsteigen, die Principel treffend…

Was mich am Ziel erwartet? Ich weiß es nicht – ein Programm zum 67.Tag der Republik, der Unabhängigkeit Indiens von Großbritanien. Angekommen, bin ich schon fast nicht mehr überrascht gefragt zu werden, ob ich eine kurze Rede halten könnte – gerichtet an die Studierenden, rund 50 junge Auszubildende, Männer im Alter zwischen 17 und 21 Jahren.

Ein Vertreter der Regierung in Tamil Nado ist zu gegen, alle Manager sind in Anspannung, es ist spürbar, das fehlende Frühstück fordert seinen Tribut und ich überlege mir zwischen Gebet, Fahne hissen und Ansprachen in Tamil, was nun ich beitragen könnte?!

Junge Männer, die als Stipendiaten deutscher und schweizer Familien in CMS groß werden, in der Ausbildung stehen, den Wert von Unabhängigkeit und die Relevanz von Rechten und Pflichten in der Demokratie zu erläutern, auf Englisch, freihändig, wartend bis die Übersetzung hinterherkommt…

das ist für mich persönlich eine Mischung aus Fremde, Anpassungsleistung und Routine.

Reden: ok,

frei: geht auch noch

zu einem Thema, das mir bedingt bis gar nicht vertraut ist: na ja

ohne Vorbereitung: ambitioniert

in Englisch: immer weniger schlimm, denn es ist ja die Drittsprache für alle…so sind Fehler nicht ganz so schlimm

vor einer Gruppe der ich nun immerhin in 4 Wochen dreimal begegnet bin,: schon fast vertraut, denn ich weiß ja wie es eingebettet ist

mit dem Segen Gottes schließen: ungewöhnlich

 

Und was passiert dann? In der Tat, das Gefühl es gemeistert zu haben, in den Gesichtern zu lesen, dass ich nicht ganz daneben lag und in der Handbewegung und wenigen englischen Broken des nachfolgenden Redners zu erkennen, dass er sich auf meine Ausführungen bezieht – läßt das entstehen, das auch in heimischen Landen aber in dort fremden ungewohnten Situationen für mich entsteht – zunehmende Trittsicherheit. Bewältigung. Erlebte Wirksamkeit – wie bei dem kleinen Kind, das sich den Alltag der Krippe mit den Skripten zu eigen macht, bis es stolz beginnt diese zu irritieren – uns strahlend anlachend!

„Es gehört zu den Grundannahmen (..)dass das Fremde primär von den Orten des Fremden her zu denken ist, als ein Anderswo und als ein Außerordentliches, das keinen angestammten Platz hat und sich der Einordnung entzieht. Umgekehrt gilt es den orthaften Raum so zu denken, dass er Eigen- und Fremdorte zuläßt, ohne die Differenzierung zwischen Eigenem und Fremden von vornherein einzukreisen oder einzuebenen“ (in Giebler,C., Henke, T. S. 119)

So ließe sich eine  Situation nach der Anderen beschreiben bis hin zum theatralisch untermalten Kauf eines Besens und eines Kehrblechs – denn das war nirgends ausgelegt oder ausgestellt. Stolz meinen Besen auf der Schulter strebte ich dem Ziel eines in Ansätzen sauberen Zimmers entgegen – dem eigenen kleinen Reich auf Zeit, eine Art Oase.

Dass ich dort mehr um mich an „Übergangsobjekten“ in die heimische Kultur aufgebaut habe, als die Mädchen hier im Haus besitzen, erfüllt mich immer wieder mit Beschämung.

mein Reich auf Zeit
mein Reich auf Zeit
bis zu 6 Mädchen teilen sich im Internatsbetrieb bis zu 50 Wochen im Jahr ein Zimmer mit je einem Bett, genau in dieser Ausstattung und einem halben Schrankteil - das ist eine gute Ausstattung; anderes konnte ich besichtigen!
bis zu 6 Mädchen teilen sich im Internatsbetrieb bis zu 50 Wochen im Jahr ein Zimmer mit je einem Bett, genau in dieser Ausstattung und einem halben Schrankteil – das ist eine gute Ausstattung; anderes konnte ich besichtigen!

 

„Wie könnte man einen Fremden tolerieren, wenn man sich nicht als Fremden erfährt?“ in Giebeler,C. und Henke,T. 2011 „die erste Fremde, Kleinstkinder im Übergang von der Familie in die Kindertagesstätte“

 

Mit Sicherheit verändern diese, im Vergleich zu vielen Anderen im Lebensalter späten Erfahrungen zwischen Gewohntem und Fremdem und dem schrittweisen Vertrautwerden meine Wahrnehmungen dann in Deutschland.

Nicht nur bei der Frage, welchen Sinn Gemeinschaftsverpflegung in Flüchtlingsunterkünften macht – sind Momente der selbstbestimmten!Selbstfürsorge und Pflege wohl mit absoluter Sicherheit, lebenslang Garanten für Wohlbefinden.

Da ist es wohl angezeigt einmal mehr in allen Integrationskonzepten nachzudenken – auch im Bereich der Kindertagesbetreuung!

Da komme ich wieder bei der Tasse Kaffee (mit Satz und inzwischen sehr sehr körnigem Kaffeepulver für ein indisches Vermögen) und dem Duschsack an.

3 Antworten

  1. Heide Schmauder

    Liebe Frau Höhn,
    herzliche Grüße aus dem Rathaus! Mit großem Interesse verfolge ich Ihre Reiseberichte aus Indien! Ich war 1984 mal für drei Monate in Indien und vieles in Ihren Berichten weckt die eigenen Erinnerungen an die Erfahrungen in diesem so faszinierenden und manchmal auch nervenaufreibendem Land.
    Liebe Grüße
    Heide Schmauder

  2. Heidi

    Liebe Kariane. Marveles und wundersam. Das löst deine Mitteilsame Teilhabe in mir aus. Und ich freue mich dir im März zu begegnen, denn diese Reise hinterlässt besondere Spuren. Ich bewege mich zwischen Plegemanagement, Alltagswahnsinn, Begegnungsreichtum und persönlichem Abenteuer. Langeweile ist was anderes. Be careful, neugierig und erfahrungsoffen auf dem Weg der vom anderen inspirierten Gelassenheit. Herzlichst . Heidi

  3. Ursula Straubinger

    Hallo Frau Höhn, nach wie vor lese ich sehr interessiert Ihre ganzen Berichte. Einer spannender als der andere. Ich wünsche Ihnen für die restliche Zeit noch viele interessante Eindrücke. herzliche Grüße Straubi

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